Barbara Wegmann
Barbara Wegmann, Journalistin, Münster

Wir sind auf einer ostfriesischen Insel, stehen in der wunderbaren Frühjahrssonne, brav in der Schlange vor einem Einkaufsladen, ein Mann kommt und schmettert mit energischer Stimme: Ja, was ist das denn hier? Das sind ja Verhältnisse wie in der DDR, sagt er, kritisch die Schlange begutachtend. Nee, nee, sagt ein anderer, da irren sie sich aber gewaltig, hier gibt’s im Laden wenigstens was zu kaufen, hallooooo, das war damals in der DDR nicht der Fall….

Schlange stehen, wir gewöhnen uns an etwas, das dem deutschen Charakter eigentlich so gar nicht zu liegen schien bisher jedenfalls, geduldig sein, warten, rücksichtsvoll hintereinanderstehen, den Gang der Dinge abwarten, …eher nicht so des Deutschen Ding.

Wir lernen zurzeit etwas, das den Briten schon mit in die Wiege gelegt wurde: bis zur Perfektion stehen sie Schlange, einer Umfrage zufolge 1,3 Milliarden Stunden Pro Jahr, vor Toiletten, der Supermarktkasse oder am Bus. Ein Touristenführer empfiehlt gar, damit man in kein Fettnäpfchen tritt, soviel Platz zum Vordermann zu lassen, „wie sie beim Tanzen mit Großtante Hildegard halten würden.“

Die Schlange ist Symbol für so Vieles und das in vielen, vielen Kulturen auf dieser Erde, aber mit ganz unterschiedlichen Auslegungen, sie ist Symbol für Lebenskraft und Leidenschaft, besitzt heilende Kräfte, gar göttliche, sie steht für unheilvolle Macht und den Tod, wie bei dem berühmten Bildhauerwerk des Laokoon mit seinen beiden Söhnen im Kampf gegen die Phytonschlange. eine ganze Palette an Deutungen erhält die Schlange in der Traumdeutung und in der Gastronomie gilt sie als Delikatesse. Als Alptraum eher dann, wenn sie zur Blechlawine mutiert.

In der Bibel hat die Schlange den unverdient schlechten Ruf einer teuflischen Verführerin, bei den australischen Aborigines verkörpert die Regenbogenschlange den Urzustand der Natur und behütet das Wasser.

Afrika würde diese Regenbogenschlange dringend benötigen, stehen doch hier unzählige Menschen oft nach stundenlangen Wanderungen in Trockenheit und Wüste an Wasserstellen Schlange und ein Großkonzern hat nicht einmal ansatzweise ein schlechtes Gewissen, Menschen hier in großem Stil das Wasser abzugraben. Die Flaschenwasserindustrie ist ein boomendes Geschäft, so ist zu lesen, mit einem Umsatz von 16 Milliarden Dollar pro Jahr. Die Schlange von nach Wasser anstehenden Menschen, sie sollte sich in unser aller Herz eingraben und uns als Verbraucher entsprechend reagieren lassen.

In vielen Herzen ist auch das Schlangestehen aus Weltkriegen noch in Erinnerung, die Not, der Hunger, das Anstehen für ein Stückchen Brot oder Butter. Auch heute stehen wieder Menschen Schlange für Lebensmittel, heute ohne Kriegszeiten aber in reichen Nationen.

Auch Wohnungsnot schafft Schlangen: bei Wohnungsbesichtigungen werden sie immer länger.

Kreischend stehen junge Mädels Schlange bei der Auswahl zu Germany’s Next Top Model. Wir warten schon am Tag vorher brav in der Reihe aufs neue Handy, oder bewegen uns in einer bunten Schlange den Mount Everest hinauf.  Ganze vier Tage haben tausende Fans vor den Kassen in Rio de Janeiro ausgeharrt, um Karten für ein Konzert von Lady Gaga zu ergattern. Schon ein bisschen gaga, oder?

Sollte ich sie angesteckt haben mit der Lust an der Schlange, dann lesen sie einmal nach was es mit dem Marshmallow- Test auf sich hat. Wissenschaftler gaben Kindergartenkinder eine Süßigkeit und sagten, sie erhielten eine weitere, wenn sie eine bestimmte Zeit der Versuchung sie zu vernaschen widerstehen könnten. Nicht alle schafften das. Den Versuch setzte man 13 Jahre später fort, befragte die nun Jugendlichen erneut und stellte fest: jene, die damals hatten warten können, waren zielstrebiger und erfolgreicher als die anderen. Zudem vermutet man heute, dass Geduld teilweise auch durch unser Erbgut gesteuert wird.

Die Schlange vor dem Inselgeschäft hat sich aufgelöst. Aber morgen wird sie wieder neu existieren. Wie die über 3000 verschiedenen Schlangenarten weltweit.

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