Solidarität zeigen für Flüchtlinge, für Minderheiten, für Unterdrückte, für die Umwelt, für Kinder, für Opfer von Nationalsozialisten und Faschisten.
Wie oft finde ich mich, wie im Sommer auf dem kleinen und so friedlichen Punkfestival, inmitten von Menschen wieder, die – wie ich auch – für all das einstehen. Die für all das auf die Straße gehen, die für all das, für ihre Überzeugung, Streit mit ihren besten Freunden und ihrer Familie anfangen würden, die aktiv in Vereinen oder anderen engagierten Gruppen und Initiativen für eine Sache eintreten, die sich solidarisch zeigen.
Auch in diesen Zeiten höre ich es überall – lasst uns solidarisch sein, zeigt Solidarität.
Das erste, was auffällt ist, dass sich die Zielgruppen dieser Solidarität sehr verändert haben. So sind die Flüchtlinge etwa im Griechischen Zeltlager Moria auf Lesbos bei vielen in weite gedankliche Ferne gerückt. Der Ausgang zum Loveparadeprozess ist quasi beiläufig hingenommen worden. Und – Wie viele wissen wohl, dass der Abschlussbericht des BKA zu den Ermittlungen des Hanaus Attentats vorliegt und wir dringend solidarische Unterstützung für Opfer rechter Gewalt benötigen?
Auch die wunderbare Leistung unserer Ärzte, die Corona-Patienten aus dem direkten, europäischen Ausland erfolgreich intensivmedizinisch behandelt haben, wurde wenig und teilweise argwöhnisch beäugt. Benötigen wir doch gerade all unsere Solidaritätsenergie im direkten Umkreis – der Feind ist klein, unsichtbar, lauert direkt vor unserer Haustür und heißt COVID-19. Auch, wenn ich der festen Überzeugung bin, dass wir an mehreren Fronten helfen könnten und sich nicht immer alles auf ein Anliegen fokussieren muss, so ist es absolut menschlich, dass wir aktuell Möglichkeiten vor Ort suchen, um – auch uns – in dieser chaotischen Lage zu helfen.
Rührend sind Videos aus Spanien, in denen eine Krankenschwester vom Dienst nach Hause kommt und in dem Treppenflur ihres Wohnhauses mit Applaus, Torten und selbstgebastelten Plakaten von ihren dankbaren Nachbarn begrüßt und für ihre unermüdliche Arbeit im Krankenhaus gefeiert wird. Bei uns im Viertel wird der Zaun eines derzeit geschlossenen Spielplatzes genutzt, um für Bedürftige Essen, Kleidung oder Hygieneartikel verpackt in Tüten bereit zu hängen , die abgeholt werden können. Es gibt sicher gerade unzählige Beispiele aus dem privaten, zwischenmenschlichen Bereich, die die Überschrift „Danke“ tragen und die es sich lohnen würde, in den abendlichen Nachrichten zu würdigen.
Und da komme ich zu dem Punkt, der mich wütend und zweifelnd zurücklässt. Denn neben jedem einzelnen von uns, wird nun auch in der Politik und der Verwaltung das Wort Solidarität großgeschrieben – Prämie für die Pflege, Homeoffice Ausstattung vor allem bei Personen, die einer Risikogruppe angehören, Rettungsschirme für Unternehmen – es gibt viele Beispiele. Doch – ohne, dass ich einen Blick in das Labyrinth der politischen Absprachen, Prognosen und Entwicklungen werden werde…, was passiert, wenn einfach mal Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes die Idee realisieren wollen, sich dankbar zu zeigen? Ein Zeichen in Richtung Kliniken in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft setzen, den Kolleginnen und Kollegen danken wollen. Ich habe gelernt, dass es ich nicht einfach die Organisation von Food Trucks vorantreiben kann, die als kleine Abwechslung bei den Helfern vor Ort aufgestellt werden; wir nicht einfach mithilfe der gegebenen Infrastrukturen eine Videoreihe „Wir wollen euch danken“ von Kollege zu Kollegin starten können; wir uns nicht schnell dafür einsetzen können, dass Parkgebühren erlassen werden, so dass mehr Beschäftigte mit dem Auto kommen können und so eine sicherere Anreise als mit dem ÖPNV haben.
Und warum? Weil es Befindlichkeiten gibt. Wenn wir die einen loben, müssen wir berücksichtigen, dass es mehr gibt, die derzeit hart arbeiten – ja klar! Wenn wir Food Trucks aufstellen oder anders „Geld fließen“ lassen, werden Einwände kommen, dass es lieber den einzelnen Menschen in der Pflege direkt zufließen sollte – immer gerne. Es wird immer ein Gegenargument, ein ABER geben.
Doch geht es hier nicht um versteckte Tarifverhandlungen im frühlingshaften solidarischen Kleidchen. Es geht um die Verwirklichung des menschlichen Bedürfnisses danke zu sagen, sich empathisch zu zeigen in einer Situation, in der viele einfach nur hilflos von ihrem Homeoffice Arbeitsplatz in der Küche auf das ungespülte Geschirr starren.
Da muss es doch möglich sein, zu unterschieden. Ich finde Gleichberechtigung äußerst sexy – so soll doch jeder die Möglichkeit haben, die sein Nachbar auch hat.
Manchmal glaube ich, wir verlernen zu gönnen; uns für andere zu freuen; zu verstehen, dass das Prinzip Karma näher und realer ist, als uns oft lieb ist.
All diese dargestellten Befindlichkeiten sorgen am Ende dafür, dass jeder wieder bei sich ist, sich um sich kümmert und – vor allem die öffentliche – Solidarität wieder ein bisschen mehr bereits im Kern erstickt wird. Doch hier hilft kein teures Beatmungsgerät oder ein guter Rat á la Drosten. Hier bedarf es Mut. Mut von jedem. Mut, es nicht allen recht machen zu können. Mut anzuecken. Mut, zu seiner Meinung zu stehen. Mut mit seiner Meinung andere anzustecken – also ganz ohne die derzeit fast schon trendigen Atemschutzmasken – hier ist Ansteckung erwünscht!
Auch das ist Solidarität. Es wird immer den einen oder die andere geben, die Dinge anders sieht. Die sich benachteiligt fühlt. Doch anstatt dem Großteil, der Mehrheit die Chance zu geben, zu helfen, vielleicht sogar sich selber zu helfen, da man für einen Moment abgelenkt ist von den eigenen Sorgen, werden gute Ideen nicht realisiert und einer theoretischen Möglichkeit des Störgefühls einzelner ewig Unzufriedener Platz gegeben.
Solidarität war immer wichtig, wird immer wichtig sein und jetzt gerade – ist sie besonders wichtig – denn in Zeiten von Isolation, Quarantäne und Unsicherheit ist sie ein Bindeglied zwischen dir und mir; von Wohnzimmer zu Küche; von Büro zu Klinik