Barbara Wegmann
Barbara Wegmann, Journalistin, Münster

Hatten wir gestern noch das Gefühl von Isolation und Abgeschottet sein, so warten am Wochenende schon sonnige Biergartentische auf uns, die ersten Appartements an Nord- und Ostsee dürfen wieder öffnen, die ersten Ausflüge auf Campingplätze oder zu touristischen Zielen sind wieder möglich. Das sind schöne Aussichten, das Wetter soll sonnig bleiben, die Freude auf das, was wir lange Wochen entbehrten, sie ist groß.

Nun kommen sie also, die Lockerungen, die Politiker weitaus intensiver vorangetrieben haben, als es den Bürgen offenbar lieb ist, immerhin hielten gestern Mittag noch über 80 Prozent der Bürger in einer Telefonumfrage bei NTV die Maßnahmen für viel zu früh.  Immerhin gibt es Virologen, die vor einer zweiten Infektionswelle eindringlich warnen und die Lockerungen sogar als „hochriskant“ bezeichnen… Und dann gibt es Politiker, die ohne von Zweifeln geplagt zu werden sich vors Mikrofon stellen und behaupten wir sollten uns keine Angst machen lassen und alles ginge sowieso viel zu langsam. Mit der Angst, da haben sie natürlich recht, Angst ist nie ein guter Begleiter im Leben, aber wie sieht sie wirklich aus, die Situation zurzeit? Politiker, die in ihren Entscheidungen gelenkt werden von Umfragewerten für ihre Partei? Die meinen, umso besser dazustehen, je mehr sie den Wählern an Lockerungen zukommen lassen? Politiker, die Wahlen im Blickfeld haben und sich mal wieder vor den Karren von Industrie und Wirtschaft spannen lassen, die bei dem Balanceakt zwischen Schutz der Bevölkerung und Unterstützung für die Wirtschaft um ihr eigenes Profil fürchten? Zugegeben, es ist eine sehr schwierige Situation. Eine Situation, die- auch im Vergleich zu anderen Ländern bisher aber doch prima gewuppt wurde, vor allem: mit einer gemeinsamen Strategie. Was sich allerdings vorgestern auf Länderebene tat, das war wie ein Dammbruch, der alles an gemeinsamen Anstrengungen erst einmal umwarf: fast stündlich kamen neue Meldungen welches Bundesland welche Lockerungen präsentiert, dabei war doch für gestern die Bund- Länder- Konferenz angesetzt, die eben diese Beschlüsse gemeinsam- auch mit der Bundeskanzlerin-  fassen wollte. Öffnungsdiskussions- Orgien, davor hatte die Kanzlerin schon Tage vorher deutlich gewarnt, war dafür heftig kritisiert worden, aber genau das trat nun ein. Ein „politisches Schaulaufen“ sei das gewesen, sagen Kommentatoren, sprechen von „politischen Eitelkeiten“ und haben so Recht.  Der Tanz um das goldene Kalb ist voll entbrannt.

Während der Bürger mühsam in diesen Wochen gelernt hatte, Abstand zu halten, Masken zu nähen, Schlange zu stehen, mit Homeoffice und geschlossenen Kitas klar zu kommen, auf den Cappuccino im Lieblingscafé und den Friseur zu verzichten, hat er aber auch die Einsicht gewonnen, dass eine Beschneidung persönlicher Freiheiten zu unser aller Wohl ist. In der Beschneidung unseres gewohnten Alltags lag plötzlich auch ein Umdenken, wie sauber doch die Luft wurde, wie sauber manche Gewässer, wie angenehm Ruhe und Entschleunigung sein können, statt der Jagd nach immer mehr, weiter, höher… Geht all das nun wieder verloren? Die Einsicht, dass es viele Berufsgruppen gibt, die viel zu schlecht bezahlt werden, das kreative Denken, etwas anders zu machen, wenn etwas nicht mehr wie gewohnt möglich ist? Fällt man nun schnell wieder in alte Strukturen ohne etwas zu ändern und aus der Krise gelernt zu haben? Das wäre schade.

Angesichts der Tatsache, dass- wie Wissenschaftler behaupten- wir noch mitten in der Pandemie stecken- gehen die Lockerungen und ihre so plötzliche Dynamik gefühlt in die falsche Richtung. Hoffen wir, dass Verantwortung der Verlockung nicht unterliegt. 

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