Eva-Maria Nolte
Eva-Maria Nolte, Gemeindereferentin im katholischen Pastoralverbund Bielefeld-Ost

„Was machen Sie da?“ Sammeln Sie etwas? Ich habe Ihnen schon die ganze Zeit zugeguckt“, sprach mich ein älterer Mann an. „Ja, ich suche Stücke von alten Fliesen, um damit ein Mosaik zu machen.“ Und dann guckte er mit und reichte mir kurz drauf  ein Stück einer altmodischen Wandkachel. Eine nette Begegnung am Rande einer Baustelle.

Für die schweren LKW werden die Baustellen-Zufahrten meist aus klein zerbröseltem Recycling-Bauschutt angelegt. Und darin findet man schon mal Scherben von alten Wand- und Bodenfliesen aus ehemaligen Abrisshäusern: Viele weiße oder hellblaue – wie man sie eben früher so hatte. Leuchtende Farben findet man nur mit etwas Glück.

Auf keinen Fall wollte ich aber für mein Mosaik ausgesuchte Fliesen dazu kaufen und zerdeppern, um die fehlenden Farben zu ergänzen, denn es sollte ein Lebensgeschichten-Mosaik werden – nur aus Bauschutt-Kachelstücken, die alle für „echte Menschen-Geschichten“ stehen,

Geschichten von Leuten, die unzählige Male über die Badezimmerfliesen gelaufen sind, die sich vor den Kacheln mit Blick in den Spiegel rasiert, die Zähne geputzt oder geschminkt haben, die in ihren vier Wänden geschimpft, gestritten, geweint und gelacht haben.

Die Alltagsgeschichten aus der Zeit, als die Scherben noch ganze Kacheln auf Wänden und Fußböden waren, sollten sich jetzt neu zu einem Lebensmosaik zusammen puzzeln – zumindest, wenn man sich das mit etwas Phantasie so vorstellen will.

Inzwischen ist das Mosaik fertig und es erinnert mich mit den einzelnen Fliesenstücken an diese jetzige irgendwie merk-würdige „Corona-Zeit“, in der alle vereinzelt, „versprengt“ auf ihre eigenen kleinen „Wohn- und Lebens-Zellen“ verwiesen sind – die mit nur wenigen Berührungspunkten – wie die einzelnen Mosaiksteine –  nebeneinander liegen  – mit einem gewissen Sicherheitsabstand einerseits, andererseits aber doch untereinander verbunden, vernetzt, zusammengehalten durch die gefüllten Fugen, so dass kein Steinchen herausfallen kann.

Für mich ist es in diesem verrückten Frühjahr jedenfalls mein persönliches Osterbild,

das mich erinnert an eine – zwar noch etwas zaghaft brennende – Osterflamme, die erst noch Osterfeuer werden will, aber schon anfängt im Dunkel zu leuchten – und an zarte grüne Pflänzlein, die vorsichtig anfangen zu wachsen und Blüten zu treiben.

Apropos „anfangen“: Anfang und Ende – Alpha und Omega! – Das sind die Zeichen der Osterkerze, die wir jedes Jahr in der Auferstehungsfeier entzünden.

Ich fand auch ein kleines Fliesenstück mit einem blauen „A“ in der Glasur. Das habe ich im oberen Drittel, etwas links von der Mitte, platziert.

„A“ wie Abbruch, ja –  aber auch wie Anfang – Aufbruch – und Auferstehung!

Auferstehung und Ostern finden statt – auch in diesem Jahr – wie tröstlich!

 
Eva-Maria Nolte – im April 2020  
Gemeindereferentin im katholischen Pastoralverbund Bielefeld-Ost
Andreas Laqueur, Berlin

Was unterscheidet diese Nacht von allen anderen Nächten?
von Andreas Laqueur, Berlin

Was unterscheidet diese Nacht von allen anderen Nächten? So wird heute Abend wieder gefragt, wie traditionell in jedem jüdischen Haushalt zum Sederabend am Beginn des Passahfestes.
An allen anderen Abenden essen wir Gesäuertes und Ungesäuertes, heute nur Ungesäuertes. So lautet die klassische Antwort. Und auf dem Teller liegen die Matzot, die ungesäuerten Brote, die an den eiligen Aufbruch aus der Sklaverei Ägyptens erinnern.

Dieses Jahr unterscheidet sich die Nacht aber auch von allen anderen Sederabenden der vergangenen Jahre. Immer zum Sederabend am Beginn des Passahfestes versammelten sich Großeltern, Eltern und Kinder, Onkel und Tanten, Cousins and Cousinen zu einer großen fröhlich-festlichen Familienrunde.

Heute Abend sitzen meist nicht mehr als zwei an einem Tisch, Enkel sollen ihre Großeltern nicht besuchen und Kinder nicht ihre Eltern. An vielen Tischen sitzen Menschen ganz allein. Wer stellt nun die klassischen Fragen: Was unterscheidet diese Nacht von allen anderen Nächten. Sonst ist das immer die Aufgabe des jüngsten Kindes am Tisch. Und heute?

Über Videokonferenzen kommen heute viele Familien und Gemeinden zusammen. Natürlich ist das nicht dasselbe, aber vertraute Gesichter und Stimmen von lieben Menschen sind zugegen. Wirklich allein muss niemand bleiben an diesem Sederabend zum Beginn des Passahfestes. Ein Kelch mit Wein steht immer zusätzlich auf dem Tisch, der Kelch für den Propheten Elia. Er ist der Vorbote des Messias. Er ist eingeladen und er kommt unerkannt aber er kommt. Ein Wunsch schließt den Sederabend ab: Nächstes Jahr in Jerusalem – und ein Wunsch kommt in dieser Nacht dazu: Nächstes Jahr wieder in der feierlich-fröhlichen Familienrunde, ob in Jerusalem oder Berlin

Barbara Wegmann
Barbara Wegmann, Journalistin, Münster

Die Corona- Krise rufe unsere tiefsten Ängste hervor, aber sie zeige auch das Beste in uns allen, so formulierte es Bundespräsident Frank Walter Steinmeier in dieser Woche. Tatsächlich: es gibt erstaunlich viele Meldungen über Hilfsangebote, besonders junge Menschen engagieren sich in vielen Bereichen, da ist einer für den anderen da. Kreatives Miteinander, unbürokratische Lösungen finden, Helfen überall. Aber neben diesem „Besten“ ruft die Krise auch sicher einige üble Seiten in uns hervor: die Ausgangsbeschränkungen führen zu Unzufriedenheit, zu sozialen Konflikten, zu Streitigkeiten, plötzlich ist die ganze Familie beisammen, Schulen geschlossen, der Vater im Homeoffice, die Mutter überlastet, oder umgekehrt, das birgt Sprengstoff. Beratungsstellen melden vermehrten Bedarf an Gesprächen, die Telefonseelsorge ist gefragt wie nie, häusliche Gewalt nimmt zu, Experten befürchten eine steigende Zahl von Suiziden. Ich denke, dass wir bei all dem gerade das „Beste“ in uns allen leider vergessen, wir vergessen, dass wir ein Leben geschenkt bekommen haben, dass es Zufriedenheit auch ohne Reichtum gibt, dass Kinder das Wertvollste sind, was ein Leben ausmachen kann und man gerade sie nicht in Streit, Ungeduld, Zwistigkeiten, eigenen negativen Momenten ertrinken lassen darf. Kinder haben ein Recht auf Liebe und Sorge, sie haben ein Recht darauf, von ihren Eltern umsorgt, angeleitet und behütet in dieses Leben geführt zu werden, da nützt kein Schimpfen auf den geschlossenen Kindergarten, Kopfschütteln über gesperrte Kinderspielplätze und Fluchen, dass die Kita verschlossene Türen hat. Ich darf Kinder nicht für die Krise und die damit für mich selbst verbundenen Probleme verantwortlich machen. Partner und Kinder sind alles andere als Sündenböcke für diese Krise.

Margot Käßmann sagte einmal, wir können nie tiefer fallen als in Gottes Hand, ich habe meiner Tochter immer gesagt sie könne nie tiefer fallen als in Mamas Hände. Nicht nur allein die Alten und Schwachen sind zur Zeit die Betroffenen, die unter sozialem Abstand, unter Kälte und Isolation leiden, es sind genauso die Kinder und Heranwachsenden, selbst wenn man sie manchmal -je nach Alter gern an der Garderobe abgeben würde. Sie wurden in diese Welt geboren und haben es einfach nicht verdient, dass sie Sündenböcke werden für die elterlichen, beruflichen Schwierigkeiten, für einen Kleinkrieg zu Hause, für Gewalt,     sie   sind   die    falschen    Adressaten.

Aber vergessen dürfen wir nicht, dass es viele Familien gibt, die Sorgen haben, große Sorgen, die sicher lieber zuhause blieben bei den Kindern, aber der Job für den Unterhalt der Familie reicht einfach nicht. Es ist eine gesellschaftliche und politische Schande, dass die Schere in unserer Gesellschaft immer weiter auseinandergeht, astronomische Gehälter für Fußballer, Gagen für Stars, Boni für Manager. Dass Millionen und Milliarden für die Bekämpfung dieser Corona- Krise ganz plötzlich und unkompliziert vorhanden sind, aber nicht einmal im Ansatz für den Abbau sozialer Ungerechtigkeiten oder die Rettung unserer Klima-Probleme, ganz nach dem Motto, das, was in 100 Jahren ist, das geht uns nichts an, das lässt doch aufhorchen, aber: all das geht uns etwas an, weil es die Welt unserer Kinder sein wird.

Wenn der Bundespräsident sagt, diese Krise bringe das Beste in uns zutage, dann hoffe ich, dass dazu auch gerechteres Denken, eine stärkere soziale Empathie, eine größere Chancengleichheit gehören und: ein Zusammenleben, das von mehr Fairness gezeichnet ist. Diese Möglichkeit zur Weichenstellung haben Politiker mehr denn je in Händen. Selbst wenn wir alle im Moment großen Abstand voneinander halten müssen, sollten wir uns näher beieinander fühlen als noch vor Wochen.

Passen sie gut auf sich auf

Angelika Hornig
Angelika Hornig Journalistin Autorin Dozentin arbeitet unter anderem auch für Zeitzeichen, das Evangelische magazin

Abwarten und Tee trinken kann in Krisenzeiten eine ganz gute Taktik sein. Dabei mag man seinen Tee aus dem Teepott schlürfen oder ihn stilvoll nachmittags um Five O´Clock  trinken – Any time is teatime, meint Angelika Hornig.

Michael Wehrmeyer
Pastor von St. Matthäus Melle und Dechant im Dekanat Osnabrück-Süd

30 Jahre bin ich nun im kirchlichen Dienst. Aber das habe ich noch nicht erlebt: Dass ich über Wochen keinen Gottesdienst feiern kann. Auch an diesem Wochenende wird es wieder so sein. – Corona sei`s gedankt!

Keine Frage: Die Maßnahme ist sinnvoll! Wenn alle anderen auf Abstand gehen, können wir im Gottesdienst nicht das Gegenteil tun! Dabei täte Gemeinschaft gerade jetzt gut – die Vergewisserung, dass man nicht alleine steht.

Doch Gemeinschaft kann man auch in diesen Tagen erfahren. Ich bin fasziniert, wie kreativ Menschen sind und welche Angebote zurzeit entstehen. Auch für die, denen ein geistlicher Impuls wichtig ist: Andachten an Kirchentüren gehängt oder ausgelegt. Gebete, Predigten, Videobotschaften ins Netz gestellt. Angebote verschiedenster Art. Und sie werden abgerufen ohne Ende. Geistliches mal auf anderen Wegen erleben. Geistlich, im Geiste miteinander verbunden sein – das ist es, was jetzt zählt.

Eine besonders schöne Aktion ist – wie ich finde – für den Karsamstag geplant: Um 20.30 Uhr werden an vielen Orten die Glocken läuten – in ökumenischer Verbundenheit. Sie laden die Menschen ein, zu Hause innezuhalten, im Gebet verbunden zu sein. Vorbereitete Andachten werden in den kommenden Tagen in den Kirchen ausliegen oder über das Internet abrufbar sein. Als Einstimmung auf das Osterfest ist das gedacht.

Und alle, die teilnehmen, werden eine Kerze ins Fenster stellen. – Sichtbares Zeichen: Du betest und bist nicht allein!

Ich hoffe, dass viele mitmachen.

Auch so kann man Gemeinschaft erfahren, miteinander verbunden sein!

Barbara Wegmann
Barbara Wegmann, Journalistin, Münster

Ach, wir haben ja jetzt soviel Zeit, diesen Satz hört man im Moment oft, ein Satz, der eher mit ungutem Unterton versehen ist, mit Befürchtungen, mit Unsicherheit. Ein Satz, der früher eher den Rentnern und Pensionären entgegenhallte, aber die haben ja bekanntlich ohnehin nie Zeit.

Die Zeit scheint zurzeit still zu stehen, das Lebenstempo zeigt sich entschleunigt, plötzlich passt soviel mehr in die Stunde, den Tag, die Woche, als es doch vor kurzem der Fall war. Ist das ein Geschenk? Ein Fluch? Eine Herausforderung ist es allemal.

Unsere Zeit wird bestimmt durch Tag und Nacht, den Monat, das Jahr, eine Schwangerschaft dauert neun Monate, ein Urlaub drei Wochen, die Tagesschau 15 Minuten, Lebensmittel haben ein Verfallsdatum, im Kalender stehen Termine und Geburtstage, und sechs Minuten braucht ein gelungenes Frühstücksei. Immer feiner, technisch ausgereifter und unser ganzes Leben bestimmend hat die Zeiteinteilung sich entwickelt, sie hat uns im Griff, manchmal so sehr, dass wir krank werden vor lauter Zeitdruck, „Man verliert die meiste Zeit damit, dass man Zeit gewinnen will“, hat John Steinbeck einmal gesagt.

manchmal erscheint die Zeit so sinnentleert, dass Depressionen und Lebensmüdigkeit daraus resultieren. Diese Zeit, die wir manchmal verschwenden, die alles diktiert, sie hat uns im Griff, sie bestimmt unser Leben, ob wir das wollen oder nicht, ein Entrinnen gibt es nicht. „Eins, zwei, drei im Sauseschritt- läuft die Zeit, wir laufen mit.“ Aber: wir haben es in der Hand, wie wir diese Zeit füllen, Zeit ist nicht immer nur Geld, wie ein Sprichwort sagt, Zeit ist der Moment, den wir erleben, es sind die Erlebnisse, die wir erlebt haben, es sind die Träume, die wir noch vor uns haben. Es wäre schade, die Zeit sprichwörtlich einfach totzuschlagen. Und es wäre schade, einem Menschen nicht Zeit zu schenken, vielleicht gerade jetzt, mit einem Telefonat, einem Brief, einer E-mail. Wie sang Udo Jürgens einmal: Schenk mir noch eine Stunde…

Es ist spannend, sich einmal anzuschauen, wie viele Sprichwörter es rund um die Zeit gibt, wie viele prominente, weise, kluge und lebenserfahrene Menschen sich der „ZEIT“ angenommen haben. Die Jugend wäre eine schönere Zeit, wenn sie erst später im Leben käme, sagte  Charlie Chaplin im hohen Alter, und Einsteins Relativitätstheorie sehe ich plötzlich mit ganz anderen Augen:  Wenn man zwei Stunden lang mit einem Mädchen zusammensitzt, meint man, es wäre eine Minute. Sitzt man jedoch eine Minute auf einem heißen Ofen, meint man, es wären zwei Stunden. Das ist Relativität“.

Die Zeit soll angeblich Flügel haben, oh ja, das spüren wir mit zunehmendem Alter, und dass eine schöne Uhr die Zeit anzeigt, und eine schöne Frau sie vergessen lässt, das ist sicher auch kein Geheimnis. Augenblicke sind kostbar, und wie heißt es im Faust: „ Werd‘ ich zum Augenblicke sagen: Verweile doch! du bist so schön!“ Und irgendwann werden wir uns alle fragen: „werden unsere Kinder auch einmal sagen, es sei die gute alte Zeit gewesen, in der ihre Eltern gelebt haben?“

Aber zurück in die Realität. Wie lange diese Zeit der Virus- Krise noch dauert, niemand weiß es, nehmen wir das Beste aus dieser Zeit mit, jeder für sich, alles eine Frage der Perspektive. Wie heißt es schließlich: Die Zeit heilt alle Wunden- aus Napoleon ist ja mittlerweile auch ein Cognac geworden. In diesem Sinne, passen sie gut auf sich auf.

Als Pastor i.R. war ich in den letzten Jahren nicht nur „in Ruhe“, sondern vor allem sonntags „im Reisedienst“ in verschiedenen Gemeinden. Über meinem Terminplan steht  schon immer das Bibelwort aus dem Jakobusbrief 4,17 „Wenn der Herr will, werden wir  leben  und dies oder das tun.“. Im Zusammenhang dieses Satzes ist von Leuten  die Rede, die  ihre Geschäftsreisen planen. Denen hält Jakobus entgegen „ihr wisst nicht, was morgen sein wird.“  Aber was morgen sein wird, steht doch für alle aktiven Leute im Terminkalender.

Obwohl ich kein Geschäftsmann und auch nicht mehr berufstätig bin, bekam ich in den letzten Wochen viele Absagen. Gottesdienste, die lange im voraus vereinbart wurden, mussten wegen der Coronakrise  ausfallen. Kürzlich bekam ich die Email von einem Paar, das ich vor 25 Jahren getraut hatte und in einigen Tagen mit vielen Gästen seine Silberhochzeit feiern wollte. Sie schreiben: Wir hatten lange gehofft, aber nun müssen wir leider schweren Herzens die Feier absagen. Vermutlich kennen Sie ähnliche Absagen auch aus Ihrem persönlichen Umfeld.  Wie hält man das aus? Wie geht man damit um?

Mir ist in diesen Tagen der Krise und der vielen Absagen ganz neu wichtig geworden, dass es eine Zusage gibt, die nicht abgesagt wird. Eine Zusage, die Jesus, der Sohn Gottes schon vor

rund 2000 Jahren seinen Freunden, die ihm vertrauen zum Abschied gesagt hat: „Siehe, ich

bin bei Euch alle Tage bis an der Welt Ende.“  Jesus will Ihnen nahe sein an allen Tagen, gerade auch in diesen schweren Tagen. Er ist nur ein Gebet weit entfernt.

Lothar Leese